R.C. Sproul

Die Souveränität Gottes und die menschliche Freiheit

Die Souveränität Gottes und die menschliche Freiheit

Wie verhält sich nun der Wille des Menschen gegenüber der Souveränität Gottes? Das vielleicht älteste Dilemma des christlichen Glaubens ist der scheinbare Widerspruch zwischen der Souveränität Gottes und der menschlichen Willensfreiheit. Wenn wir die Freiheit des Menschen als Autonomie definieren (d.h. alles tun zu können, was er will, ohne Zwang und ohne Rechenschaftspflicht gegenüber Gott), dann steht der freie Wille natürlich im Widerspruch zur göttlichen Souveränität. Wir können dieses Dilemma nicht aufheben, indem wir es als Mysterium bezeichnen – wir müssen diesen Gedanken zu Ende denken. Wenn freier Wille Autonomie bedeutet, dann kann Gott nicht souverän sein. Wenn der Mensch völlig frei ist und tun kann, was er will, kann es keinen souveränen Gott geben. Wenn Gott jedoch völlig souverän ist und tut, was er will, kann kein Geschöpf autonom sein.

Man könnte sich vorstellen, dass es eine Vielzahl von Wesen gibt, die alle in unterschiedlichem Maße frei sind, von denen aber keines souverän ist. Der Grad der Freiheit wird durch die Macht, Autorität und Verantwortung bestimmt, die jedes Wesen innehat. Allerdings leben wir nicht in einem solchen Universum. Es gibt einen Gott, der souverän und damit absolut frei ist. Meine Freiheit ist immer begrenzt. Meine Freiheit wird immer durch die Souveränität Gottes eingeschränkt. Ich bin frei, Dinge zu tun, die mir gefallen, aber wenn meine Freiheit mit dem dekretiven Willen Gottes kollidiert, ist das Ergebnis eindeutig: Gottes Verordnung hat Vorrang vor meiner Entscheidung.

»Biblisch gesehen ist der Mensch frei, aber seine Freiheit kann niemals Gottes Souveränität verletzen oder außer Kraft setzen.«

Folgende Aussage wird so oft wiederholt, dass sie in christlichen Kreisen fast zu einem kritiklos übernommenen Axiom geworden ist: Die Souveränität Gottes dürfe niemals die menschliche Freiheit so weit verletzen, dass Gottes souveräner Wille diese außer Kraft setzt. Dieser Gedanke grenzt an Blasphemie, weil er der Vorstellung Raum gibt, Gottes Souveränität sei durch die menschliche Freiheit eingeschränkt. Wenn das wahr wäre, dann wäre der Mensch, nicht Gott, souverän, und Gott würde durch die Macht der menschlichen Freiheit eingeschränkt und gegängelt. Ich wiederhole mich: Diese Aussage ist blasphemisch, denn sie erhebt das Geschöpf auf die Stufe des Schöpfers. Gottes Herrlichkeit, Majestät und Ehre werden verunglimpft, da der Schöpfer auf den Status eines zweitrangigen, ohnmächtigen Geschöpfes reduziert wird. Biblisch gesehen ist der Mensch frei, aber seine Freiheit kann niemals Gottes Souveränität verletzen oder außer Kraft setzen.

Mein Sohn und ich sind freie moralische Akteure: Wir besitzen beide einen eigenen Willen. Als er noch als Teenager bei mir zu Hause lebte, wurde sein Wille jedoch häufiger durch meinen Willen eingeschränkt als umgekehrt. Da ich derjenige in unserer Beziehung war, der über mehr Autorität und Macht verfügte, hatte ich einen größeren Handlungsspielraum als er. Genauso verhält es sich mit unserer Beziehung zu Gott: Gottes Macht und Autorität sind unendlich, und seine Freiheit wird niemals durch den menschlichen Willen behindert.

Es gibt keinen Widerspruch zwischen der Souveränität Gottes und dem freien Willen des Menschen. Diejenigen, die einen solchen sehen oder das Problem sogar als unerklärliches Mysterium bezeichnen, haben letzteres missverstanden.


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